Das Interview mit Rudi Sack vom Verein Gemeinsam Leben Lernen e. V.
Ihr Verein trägt ja in seinem Namen Gemeinsam leben lernen – wieso haben Sie sich für den Namen entschieden und was steckt dahinter?
Ich selbst war ja bei der Vereinsgründung 1980 noch nicht dabei (erst ab 1983), fand den Namen aber von Anfang an sehr passend. Er bringt sicher sehr stark das zum Ausdruck, was heute als „Inklusion“ bezeichnet wird, ein Begriff, der vor 40 Jahren in diesem Zusammenhang noch gar nicht geläufig war. Damals sprachen wir noch von Integration oder eben von gemeinsamem Leben. Das „lernen“ am Ende macht dabei noch deutlich, dass es um einen Prozess geht, bei dem alle Seiten sich bewegen und etwas dazulernen müssen oder ich würde eher sagen „dürfen“.
Welche Möglichkeiten bieten Sie an, damit Menschen mit geistiger Behinderung auch Teil der Mitte werden? Auf welche Probleme stoßen Sie hier und wie meistern Sie diese gemeinsam?
Unsere Maxime lautet: Gemeinsames Leben auf Augenhöhe. Das bedeutet also: gleichberechtigt, ohne Hierarchien. Und ich denke, das ist eine Haltung, die uns wirklich auszeichnet und in unseren Aktivitäten auch spürbar wird. Das beinhaltet, dass Menschen ohne Behinderung in der Begleitung von Menschen mit Behinderung nicht „Betreuer“ oder „Erzieher“ sind, sondern eben Begleiter. Und dann geht es natürlich im Alltag und in unseren Strukturen auch immer darum, dass das gelebt wird: Z.B. haben wir auch Menschen mit so genannter „geistiger Behinderung“ mit in unserem Vereinsvorstand, der über die wichtigsten Fragen unseres Vereins entscheidet.
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Sie unterstützen ebenso geistige Behinderte indem Sie Ihnen Wohngemeinschaften, Wohnen in der eigenen Wohnung und Wohnen 24/7 anbieten. Können Sie unseren Lesern bitte kurz erklären, welche Unterschiede zwischen den Wohnkonzepten bestehen und welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, um dort zu wohnen?
Die Grundidee gilt für alle unsere bisherigen Wohnangebote: es leben dort Menschen mit und ohne Behinderung zusammen und – wie oben erwähnt – auf Augenhöhe. Die besondere „Geschäftsidee“ (wen man das so nennen will) ist, dass die Menschen ohne Behinderung in den WGs mietfrei leben und sich als Gegenleistung an der Unterstützung ihrer Mitbewohner mit Behinderung beteiligen.
Die Besonderheit des Modells 24/7: Während in unseren anderen WGs unter der Woche tagsüber alle unterwegs sind (beim Arbeiten oder studieren bzw. in Ausbildung) leben in unseren 24/7-WGs, die wir inzwischen überwiegend Mehrgenerationen-WGs nennen, auch Menschen mit Behinderung, die aus Alters- oder gesundheitlichen Gründen nicht mehr oder nur noch in Teilzeit arbeiten gehen, und deswegen auch an Werktagen tagsüber (teilweise) auf eine Begleitung/Unterstützung in der WG angewiesen sind.
das Wohnen in der eigenen Wohnung bezeichnet die Möglichkeit, in der Nachbarschaft zu einer WG in einem so genannten „Satellitenapartment“ alleine oder als Paar zu leben, dort also deutlich die Tür hinter sich zuziehen zu können, dabei aber gleichzeitig die nahe WG als Sicherheit und Anlaufstelle nutzen zu können. Dieses Modell ist gerade auch für Bewohner gedacht, die nach einigen Jahren WG mehr Individualität und Intimsphäre suchen, ohne ganz auf Gemeinschaft verzichten zu wollen.
Welche Unterstützung erhalten Sie derzeit vom Staat? Wo wünschen Sie sich mehr Unterstützung vom Staat?
Die Unterstützung erhalten vor allem die von uns betreuten Menschen mit Behinderung durch ihre Leistungsansprüche auf Eingliederungshilfe, Grundsicherung und/oder Pflegeleistungen (Bezirk Oberbayern, Sozialamt, Pflegekasse).
Als Organisation erhalten wir für unseren Ambulanten Dienst außerdem Zuschüsse des Freistaats Bayern und des Bezirks Oberbayern als Anbieter der so genannten regionalen OBA (OBA steht für Offene Behindertenarbeit).
Es könnte natürlich immer noch besser sein, aber insgesamt sind wir sehr zufrieden mit der Unterstützung unserer Arbeit durch öffentliche Stellen!
Wie reagiert die Gesellschaft heutzutage auf geistig Behinderte? Und wo sehen Sie noch von Seiten des Staates und der Gesellschaft Entwicklungsbedarf?
Insgesamt bin ich der Meinung, dass die Haltung der Gesellschaft, das heißt einerseits der Institutionen und staatlichen Stellen, aber vor allem auch der einzelnen Bürgerinnen und Bürger, gegenüber Menschen mit Behinderung sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte deutlich positiv entwickelt haben. Dazu hat nicht zuletzt die Inklusionsdebatte der vergangenen Jahre beigetragen. Die „Inklusion“ ist ja fast schon wieder ein bisschen in Verruf geraten – einige behaupten, das sei nur ein schöner Traum, der ja ohnehin nicht zu verwirklichen sei.
Dabei wird meines Erachtens übersehen, dass es nie ein Umlegen des Schalters geben kann, und dann ist alles inklusiv. Das Ganze ist ein langwieriger Prozess, der aber richtig in Gang gesetzt ist und für die ganze Gesellschaft zu einer positiven Entwicklung wird.Wenn heute ein Student in einer unserer WGs auf die Frage einer Journalistin, wie seine Kommilitonen es finden, dass er in einer WG mit geistig behinderten Menschen lebt, antwortet: „Die finden’s cool!“, dann finde ich das bemerkenswert.
Herzlichen Dank, Rudi Sack . Wir von ExpertenTesten wünschen Ihnen und dem Verein Gemeinsam Leben Lernen e. V. weiterhin viel Erfolg.
Über die Redakteurin
Laura Hoffmann
Laura Hoffmann arbeitet als freie Redakteurin seit 2016 für expertentesten.de. Ihr Kernbereich liegt dabei in der Recherche spannender Interviewpartner aus den Ressorts Kultur, Sport und Wirtschaft.