Das Interview mit Mirko Bialas vom Verein Müpe e.V.
Bitte stellen Sie sich und Muepe e.V. unseren Lesern kurz vor
Die MüPE ist einer der ersten Selbsthilfevereine auf dem Gebiet der Psychiatrie, und, wenn ich mich nicht irre, der bundesweit erste örtliche.
„Selbsthilfeverein“ heißt, wir sind den Ideen der Selbsthilfe verpflichtet. Z. B. arbeiten in unserem Verein vor allem Betroffene, also Menschen mit einer psychiatrischen Diagnose. „Selbsthilfe“ heißt aber auch, dass wir innerhalb des „Settings“ aus sozialpsychiatrischen Angeboten ein ganz spezifisches vorweisen können: wir erinnern an Methoden und Techniken der Selbsthilfe, wie kommunikativer Austausch unter Betroffenen, Förderung der Eigeniniative, Selbstedukation über die medizinischen Krankheiten… Mit einem Wort: wir regen die Selbstheilungskräfte an. Das hat insofern Belang, als im Bereich der Psychiatrie noch sehr viele Lücken bestehen, Versorgungslücken ebenso wie Wissenslücken, die nur dadurch geschlossen werden, dass die Menschen, die davon betroffen sind, sie selbst schließen.
Wie grob schaetzen Sie das Problem, „nicht gsehen werden zu wollen“ oder „nicht vorzeigbar zu sein“?
Sichtbarkeit ist das A und O einer Normalisierung von psychischen Krankheiten, d. h. einer Antistigmatisierung. Leider haben viele noch Angst, sich selbst in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Das allerdings z. T. aus nachvollziehbaren Gründen. Wenn man Anfeindungen z. B. am Arbeitsplatz erleben muss, aber auch in Cafés, in Jugendherbergen…, dann muss man ja auch die Reserven mitbringen, auf diese Anfeindungen reagieren und diese wegstecken zu können. Und genau diese Reserven fehlen uns praktisch per Definition. Ein Betroffener ist per se dünnhäutig. Trotzdem empfehle ich, mit der Krankheit offensiv umzugehen, sich als „krank“ oder „leidend“ zu präsentieren, um so der Stigmatisierung einen Schritt voraus zu sein und nicht in die Defensive zu geraten. Viele von uns sieht man ja durch Hospitalisierung und Medikamentation die psychische Krankheit direkt an. Diese brauchen gewissermaßen die Solidarität derjenigen, die sie noch verstecken können. Schon allein aus diesem Grund wäre es wichtig, wenn viele viel offener mit ihrer Diagnose umgingen. Allerdings kommen Diskriminierungen vor allem in nicht so gut bezahlten Jobs immer noch oder jetzt vielleicht sogar häufiger vor als noch vor der Gründung von Pegida und Co.
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Wie viele Personen nehmen regelmäßig an Ihren Veranstaltungen teil?
Unser Verein hat im Moment 180 Mitglieder, von denen sich ungefähr 30 aktiv einbringen. An den Veranstaltungen nehmen dann in etwa noch einmal doppelt so viele teil, so dass vielleicht die Hälfte am Vereinsleben teilhat.
Mit welchen Tätigkeiten genau unterstützen Sie die Teilnehmer dabei, wieder aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen?
Neben einer „Peer-to-Peer-Beratung“ – Betroffene beraten Betroffene – nehmen wir an Sitzungen von Gremien teil, die sich um die psychische Gesundheit Sorgen machen. Außerdem sind wir sozusagen das Sprachrohr der Betroffenen. D. h. wir drängen politisch wie öffentlich darauf, dass sich die Zustände in Bildung, Arbeit und Wohnen für die Betroffenen verbessern und auf ihre Befürnisse eingegangen wird. Darüber hinaus veranstalten wir diverse Selbsthilfegruppen, wie zwei Frauengruppen, spirituelle und meditative Gruppen, Bergwandern, Radfahren, eine Gruppe „Zu Wort kommen…zuhören“ und eine Diskussionsgruppe zu psychiatriepolitischen Themen. Außerdem gibt es bei uns jeden Dienstag eine Offene Tür und einmal im Monat ein Forum zu Themen, die die psychiatrische Landschaft im Moment bewegt.
Was sind Ihre Pläne und Visionen für das Jahr 2020 und darüber hinaus?
Wir sind gerade dabei uns in den neuen Medien zu etablieren, z. B. mit einem Psychiatrieerfahrenen-Wiki, das Anfang 2020 an den Start gehen soll. Dann beschäftigen uns die Themen Berichterstattung in den Medien – man denke hier an die „messerschwingenden Psychopathen“ – und das durch die sog. „Euthanasie“ unter der NS-Zeit nachhaltig gestörte Vertrauensverhältnis zu den Ärzte. Was ganz sicher aufs Tapet gebracht werden muss, ist die Vorsorge in den Schulen, und dass unsere Belange – hier sei vor allem die Antistigmaarbeit zu nennen – in der Politik Fuss fassen.
Wo sehen sie die zentralen Probleme und Herausforderungen für Menschen, die sich nach einer psychischen Erkrankung zurück in’s Leben kämpfen?
Das sind die drei Bereiche Bildung, Arbeit, Wohnen. Wir setzen damit einen Schritt früher an, als es sozialpolitisch üblich ist. Bereits die Ausbildung ist es, die in unserer Karrieregesellschaft oft die Teilnahme von Menschen mit einer psychiatrischen Diagnose verhindern. Wenn man wegen einer Depression seine Schule nicht schafft oder ein psychotischer Schub die weiterführende Ausbildung verhindert, dann hat man als Betroffene oder Betroffener praktisch gar keine Chance mehr an unserer Gesellschaft teilzuhaben.
Gesellschaft hier nicht verstanden als eine reine Arbeitsgesellschaft. Sondern als eine Gesellschaft, die auch Chancen bereit stellt, aber meistens eben nur in Form von Karrieren, von denen wir so gut wie abgeschnitten sind. D. h. am Kuchen, an dem, was unsere Gesellschaft im Innersten ausmacht, die Lebenschancen, davon sind wir bereits ab der Ausbildung abgeschnitten. Das aber ist einfach eine Stigmatisierung, die wir nicht hinnehmen wollen und die wir nicht hinnehmen können.
Wie können/sollten Staat und Gesellschaft agieren, um die Situation für Betroffene zu verbessern?
Wie gesagt, man müsste die Sozialpolitik von Grund auf umdenken und Bildung, die Ausbildung, als den Stützpfeiler der Zivilisation erkennen. Erst der Zugang zur Bildung für alle, auch für diejenigen, die sich nicht konzentrieren können, die Hälfte vergessen oder wild vor sich hinspinnen, auch diesen eine Ausbildung zu garantieren, heißt, glaube ich, die Werte anders zu setzen und die Gesellschaft insgesamt mehr auf unsere Belange hin auszurichten. D. h. erst wenn wir als Gruppe anerkannt werden, als einer Gruppe, bei der es versäumt wird für ihre Teilhabe an der Gesellschaft zu sorgen, indem allein die Arbeit in den Mittelpunkt, aber nicht ihre Möglichkeitsbedingung, die Bildung, gestellt wird, dann sehe ich auch die Unterscheidungen verrückt/normal, wahnsinnig/vernünftig, d. h. die Stigmatisierung, als überholt, veraltet, obsolet an.
Herzlichen Dank, Mirko Bialas. Wir von ExpertenTesten wünschen Ihnen und dem Verein Müpe e.V. weiterhin viel Erfolg.
Über die Redakteurin
Laura Hoffmann
Laura Hoffmann arbeitet als freie Redakteurin seit 2016 für expertentesten.de. Ihr Kernbereich liegt dabei in der Recherche spannender Interviewpartner aus den Ressorts Kultur, Sport und Wirtschaft.